Familie Claudia. O // Zwischen Kinder - und Flüchtlingsheim
Keine Chance auf ein normales Leben, weder in Nigeria noch in Deutschland: Claudia O. (re) und ihre drei Adoptivtöchter Sophia, Sandra,Sonja. Mit Foto: Anke Engelmann Zwischen Kinder- und Flüchtlingsheim PressArtikel mit Foto
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E N G L I S H :
Visit in the refugee camp near Posseck (Sachsen), January 2008 by the Family of Claudia Omoroghomwan. A Report from The VOICE Refugee Forum Meeting in Jena, 26/27.02.2008.
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Besuch im Flüchtlingslager in der Nähe von Posseck (Sachsen) im Januar 2008 bei der Familie von Claudia Omoroghomwan.
Claudia Omoroghomwan lebt seit 2006 mit vier Mädchen in dem Flüchtlingslager in der Nähe von Posseck. Zuvor waren sie in Reichenbach untergebracht.
Sophia 25.02.1994
Sandra 05.03.1955
Sonja 01.01.2000
Dammiana 28.11.2001
Claudia Omoroghomwan kam 2004 mit den beiden jüngeren Mädchen von Nigeria nach Deutschland. Die beiden Älteren blieben vorerst bei ihrer Großmutter in Nigeria. Um zusammen sein zu können, kamen auch sie nach deren Tod nach Deutschland.
Das jüngste Mädchen ist ihre biologische Tochter und bei den Größeren handelt es sich um die Kinder ihres Bruders. Dieser verstarb zusammen mit seiner Frau bei einem Autounfall. Er überließ ihr als Tante das Sorgerecht für die Kinder.
Wohnsituation in Reichenbach – die frühere Unterkunft
Vor dem Umzug ins isolierte Lager bei Posseck, lebte die Familie in Reichenbach. Dort waren sie mit der unangenehmen Situation konfrontiert sich eine Toilette mit mehreren Männern teilen zu müssen.
Frau Omoroghomwan beschwerte sich mehrmals bei der zuständigen Behörde. Ihre Beschwerden wurden mit dem Vorwurf abgewiesen, dass sie als Mutter nicht genügend auf die Kinder achten würde. Dem hält Frau Omoroghomwan entgegen, dass die Mädchen die Möglichkeit haben sollten ohne Furcht und Schamgefühl die Toilette benutzen zu können.
Eine andere Frau, die sich über die Kakerlaken in den Zimmern beschwerte, erlebte ähnliches. Ihre Beschwerde wurde mit der beunruhigenden Aussage abgetan, dass die Kakerlaken sie schon nicht töten würden.
Aufgrund dieser ganzen Unannehmlichkeiten war die Familie gezwungen viel Zeit bei Freunden außerhalb des Camps zu verbringen. Dieser Umstand führte wiederum zu der Beschuldigung, dass sie und die Kinder sich nicht regelmäßig im Heim aufhalten würden.
Mittlerweile wurde die Unterbringung in Reichenbach aufgrund der hygienischen Zustände geschlossen.
Isolation in Posseck
Das Lager liegt wie es üblich ist, isoliert von anderen Menschen und Häusern, mitten im Wald.
Die nächstgelegenen Häuser sind ungefähr einen Kilometer entfernt und zwei bis drei Kilometer weiter liegt Posseck, der nächste Ort.
Es gibt ist eine Busverbindung nach Oelsnitz und Hof. Das ist das Einzige und die Entfernung beträgt 22 Kilometer.
Oelsnitz ist zwar eine Stadt in selben Landkreis, verfügt allerdings nur über eine sehr geringe Infrastruktur.
Hof hingegen hat 50.000 Einwohner. Aber den Flüchtlingen ist es aufgrund der Residenzpflicht verboten dorthin zu fahren, da Hof in einem anderen Landkreis und des weiteren in einem anderen Bundesland liegt.
Bei dem Lager handelt es sich vermutlich um eine Unterkunft aus DDR-Zeiten, in der die damaligen Grenzsoldaten teilweise untergebracht waren.
Die durch die kasernenähnliche Atmosphäre des Lagers bedrückende Wirkung auf die Bewohner, fällt jedem sofort auf. Selbst als Besucher kann man das spüren.
Die Gegend wird nur von einigen wenigen Lampen erhellt. Sogar der einzige Weg der durch den Wald zum nächsten Ort führt ist ohne Beleuchtung.
Bis zum heutigen Tag gibt es Zeiten in denen die Gegend um das Haus herum für Militärübungen und Polizeitrainings zu Schießübungen genutzt wird.
Gesellschaftliche Vereinsamung
Die vier Mädchen teilen sich zusammen mit Frau Omoroghomwan ein 30 m²-Zimmer. Die Mädchen und ein kleines Baby sind die einzigen Kinder im Heim.
Die belastende Situation, die aus der Isolation entsteht verschlimmert sich für diejenigen, die nicht die Möglichkeit haben bei Freunden unterzukommen oder anderweitig mehr Zeit außerhalb des Lagers zu verbringen.
Frau Omoroghomwan leidet sehr darunter, dass sie niemanden hat mit dem sie sich austauschen kann.
Durch den Mangel an normalen sozialen Kontakten mit anderen Müttern wird den Mädchen der Kontakt mit anderen Kindern in deren Alter entzogen.
Nach Frau Omoroghomwan Schilderungen braucht jeder im Flüchtlingsheim Hilfe.
Insbesondere bei der Aufklärung der eigenen Rechte, um staatliche Unterstützung zu erhalten, sowie eine angemessene ärztliche Behandlung. Zusammen mit vielen anderen sind sie einer hoffnungslosen Situation ausgesetzt.
Wirtschaftliche Ausbeutung
Die Duschen liegen im Keller und können nur in der Zeit von 19:00 bis 22:00 Uhr benutzt werden. Manchmal gibt es plötzlich kein heißes Wasser mehr und die Kinder müssen mit kaltem Wasser baden. Trotz dieser Umstände beschwert sich der Hausmeister, dass die Kinder zuviel Wasser verbrauchen.
Statt Geld für Lebensmittel gibt es Coupons, die es unmöglich machen eine wünschenswerte Ernährung zu gewährleisten. Diese Coupons können nur in dem im Flüchtlingslager ansässigen Laden und auch nur an zwei Tagen in der Woche (Montag und Donnerstag in der Zeit von 10:00 bis 15:00 Uhr) dort eingelöst werden.
So werden die armen Leute ausgebeutet und gezwungen völlig überteuerte Produkte zu kaufen, die sie woanders sehr viel günstiger erwerben könnten, wenn man Ihnen die Möglichkeit geben würde.
Beispielsweise werden hier Waren der günstigsten Marke von Edeka „Gut und Günstig“ (z. B. 750 gr. Honey Wheat (Weizenpops) für 3,99 €, Multivitaminnektar für 0,89 € und Thunfisch für 0,90 €, ) zu extrem hohen Preisen verkauft.
Für Kleidung bekommen die Familien alle zwei Monate einen Gutschein, der nur in einem bestimmten Laden (KIK) einzulösen ist. Hier kann man zwar Kleidung erwerben, nur leider keine Schuhe. Somit wird das kleine Taschengeld zusammengespart, um sich überhaupt Schuhe leisten zu können.
Unmöglichkeit des Schulbesuchs
Bis Februar 2008 werden die Kinder der Möglichkeit eines Schulbesuchs beraubt.
Bis zum Sommer 2007 wurde ihnen der Besuch der Schule sogar verweigert.
Frau Omoroghomwan schildert, dass sie auf den Wunsch, dass die Mädchen zur Schule gehen sollten die Antwort erhalten hat, dass diese noch nicht alt genug wären. Als die Erlaubnis zur Schule gehen zu dürfen in diesem Spätherbst endlich von der Behörde erteilt wurde, war die Zweitjüngste bereits sieben Jahre und neun Monate alt.
Bevor die Mädchen in die Klassen in der Grundschule gehen zu dürfen, verlangt der Lehrer, dass sie einen Sprachkurs belegen, da sie kein Deutsch sprechen.
Frau Omoroghomwan kann immer noch nicht nachvollziehen, weshalb man ihnen nicht schon vorher diese Möglichkeit gegeben hat.
Abgesehen davon macht es die Wohnsituation den Kindern praktisch unmöglich zur Schule zu gehen, da die für die soziale Versorgung zuständige Ausländerbehörde nicht für die Fahrtkosten zur Schule aufkommen will.
Zudem befindet sich die Schule in Bad Elster (ca. 30 Kilometer entfernt von Oelsnitz) und ist nur sehr schwierig mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu erreichen. Da die Mädchen um 08:00 Uhr in der Schule sein müssen, müssten sie gegen 05:00 Uhr das Haus verlassen, um durch den dunklen Wald einen langen Fußmarsch auf sich zu nehmen, damit sie um 05:20 Uhr den Bus erreichen können.
Seit einigen Wochen hat sich nun die AWO (Arbeiterwohlfahrt) bereit erklärt die Fahrtkosten in Form eines Taxifahrdienstes zu übernehmen. Dadurch müssen die Mädchen das Haus um 06:10 verlassen.
Das ist zwar bei Weitem einfacher zu handhaben als die Situation mit den öffentlichen Verkehrsmitteln, das bedeutet aber auch eine tägliche Fahrtzeit von drei bis vier Stunden auf sich zu nehmen.
Ärztliche Behandlung
Die nächstgelegene Möglichkeit um einen Arzt aufzusuchen ist Oelsnitz. Die Fahrt dorthin kostet jeweils 3,20 €.
Wenn Frau Omoroghomwan einen Termin beim Arzt hat, muss sie jedes Mal mit einem Tagesticket nach Plauen (22 Kilometer von Posseck entfernt) fahren, welches sie 7,00 € kostet. Sie hat aber nur ein kleines Taschengeld in Höhe von 120,00 € für die komplette Familie im Monat zur Verfügung.
Mindestens vier Mal im Monat muss Frau Omoroghomwan den Arzt wegen ihrer Beschwerden im Nackenbereich konsultieren. Ohne Fahrgeld ist dies aber nicht möglich.
Auch wenn die Kinder krank werden sollten, bleibt das Problem weiterhin bestehen. Im Fall einer schweren Erkrankung würde der Arzt nur nachts vorbeikommen. Fragt man dann den Hausmeister um Hilfe, verweist dieser nur auf das helle Tageslicht und darauf, dass man zum Arzt gehen kann. Das bedeutet einen zwanzigminütigen Fußmarsch hinter sich zu bringen, um danach noch mit dem Bus zu fahren, egal wie schlecht es einem geht.
Gesundheitliche Probleme – Kontrolle
Basierend auf diesen depremierenden Verhältnissen wird ganz besonders die Zukunft der Kinder beeinträchtigt.
Die Mädchen wurden in Kinderheimen untergebracht, als Frau Omoroghomwan im November 2007 für einige Tage in die psychiatrische Klinik eingeliefert werden musste, um zu überprüfen ob eine Selbstmordabsicht vorliegt, da sie an Depressionen erkrankt ist.
Claudia Omoroghomwan hatte ständig chronische Schmerzen im Nacken.
Im letzten Herbst wurden die Schmerzen so extrem stark und breiteten sich vom
Nackenbereich über den restlichen Körper aus, dass am Sonntag der Notarzt kommen musste.
Sie wurde umgehend ins Krankenhaus eingeliefert, mit der Absicht einmal gründlich untersucht und behandelt zu werden. Nur wurde sie bevor irgendeine Untersuchung an ihr vorgenommen wurde vom Arzt mit der Begründung, dass sie bei ihren Kindern bleiben solle, zurückgeschickt.
Frau Omoroghomwan hat eigenartigerweise keine Bescheinigung über ihren Aufenthalt und keinen Krankheitsbericht vom Krankenhaus erhalten. Vermutlich stand eine Intervention der Ausländerbehörde hinter dieser Entscheidung.
Es ist immer noch nicht geklärt warum es nicht möglich war, die Kinder für die Zeit des Krankenhausaufenthalts im Kinderheim unterzubringen, damit sie eine adäquate ärztliche Behandlung erhalten konnte.
Andererseits wurde Frau Omoroghomwan der Drohung ausgesetzt, dass man ihr die Mädchen wegnehmen und in ein Kinderheim geben würde.
Grund dafür war eine Reise zu einem Arzt ihres Vertrauens nach Dortmund bezüglich des Asylantenstatus der jüngsten Tochter Dammiana. Diese flüchtete aus Nigeria, um den Gefahren durch eine Beschneidung zu entkommen.
Auf der Fahrt gerieten sie in eine Polizeikontrolle. Diese stellte fest, dass sie keine Erlaubnis der Ausländerbehörde hatte den Landkreis zu verlassen. Diese hatte ihr die Bewilligung verweigert, da sie keine schriftliche Einladung vorweisen konnte.
Die Information über den Verstoß gegen die so genannte Residenzpflicht wurde an das für die Familie zuständige Jugendamt weitergegeben. Das Resultat war die Androhung ihr die Kinder wegnehmen zu wollen.
Die Mädchen, die bei der Mutter bleiben wollten, konnten die Bestrebungen des Jugendamts durch Proteste verhindern.
Das sind Auswirkungen des verbindlichen Gesetzes der Residenzpflicht – ein rassistisches Sondergesetz, welches als Mittel zur Kontrolle eingesetzt wird und welches das Grundrecht der persönlichen Freiheit und der Bewegungsfreiheit in massiver Weise verletzt, ebenso die persönlichen Entscheidungen der Familie.
Dieses Gesetzt steht im absoluten Widerspruch zu dem für deutsche Familien geltenden Grundrecht, sprich unabhängig entscheiden zu können mit den eigenen Kindern zu reisen, egal aus welchen Gründen. - Bei Frau Omoroghomwan wurde die Wahrnehmung ihrer persönlichen Freiheit nicht nur als kriminelle Straftat ausgelegt, sondern vielmehr als Rechtfertigung ihre elterliche Fürsorgepflicht in Frage zu stellen, und somit ihre Fähigkeit sich um ihre eigenen Kinder zu kümmern.
In diesem Fall ist es völlig ersichtlich, dass die allgemeine Erklärung der Menschenrechte missachtet wird. Dieses Gesetz nimmt den Eltern das Recht die Entwicklung des eigenen Kindes selbst bestimmen zu können. Beziehungsweise sagt es aus, dass über das Wohlergehen des Kindes der Staat und nicht die Eltern entscheidet, jedenfalls soweit es Asylsuchende betrifft.
Inzwischen wurde Frau Omoroghomwan der Vorschlag gemacht, dass sie gemeinsam mit den Mädchen in das Jugendheim ziehen könnte. Einerseits würde dies zwar die Isolation der Familie in dem abgelegenen Lager beenden, andererseits wird ihr die Möglichkeit genommen unabhängig für die Mädchen deren Entwicklung bestimmen zu können.
Zu ihren bisherigen Erfahrungen mit den Behörden erläutert Frau Omoroghomwan:
„ Jedes Mal wenn man die zuständigen Behörden nach etwas fragt, erschweren sie einem die Situation.“
Überdrüssig der sich weiter verschlechternden Umstände, hat sich Frau Omoroghomwan 2007 an andere Länder gewandt, um Deutschland zu verlassen. Bisher hat sie noch keine Antwort auf ihre Anfrage erhalten.
Perspektiven?
Hauptsächlich wünschen sich Frau Omoroghomwan und die Mädchen einen Umzug in eine eigene Wohnung in einer größeren Stadt, die Möglichkeit ein selbstbestimmtes Leben zu führen und die lang anhaltende soziale Isolation verarbeiten zu können.
Die Mädchen hätten die Möglichkeit regelmäßig die Grundschule zu besuchen und könnten als überzeugte, gläubige Christen regelmäßig in die Kirche gehen.
Die Bemühungen der AWO einen Beschluss des Umzugs in eine private Unterbringung zu erwirken sind abgelehnt worden. Begründet wurde dies mit der Duldung, da es ja jederzeit die Möglichkeit der Abschiebung gäbe.
Schlussendlich ist vom Bundesamt immer noch keine Entscheidung über den Asylantrag getroffen worden.
Außerdem klagt Frau Omoroghomwan an:
„ Wann auch immer wir uns an die für unsere Situation verantwortlichen Behörden wenden, verschlimmert sich unsere Lage. Sie geben uns das Gefühl, dass Wir nicht das Recht haben uns zu beschweren.“
Alle Mädchen sind mit psychologischen Problemen belastet. Das geht so weit, dass sie momentan nicht mit anderen Kindern zusammen spielen können. Es ist für jeden ersichtlich, wie traumatisiert und ängstlich sie sind.
Unsere Forderungen sind:
Eine schnelle Antwort vom Bundesamt.
Die Genehmigung der Ausländerbehörde zum Umzug in eine private Unterbringung,
weil
- die Kinder dringend den Kontakt zu anderen Kindern brauchen.
- sie das Recht haben eine geeignete Schule zu besuchen.
- kein normaler Mensch mit permanenter, langer Isolation leben kann.
- Frau Omoroghomwan dringend den Kontakt zu anderen Frauen und Familien braucht.
- mehr als genug depressive und psychologische Folter ertragen wurde.
- eine normale medizinische Betreuung gewährleistet sein muss.
- die Zukunft der Kinder in ernsthafter Gefahr ist.
- das Leben hier gefährlich bedroht ist.
- es das Recht eines jeden Menschen ist menschenwürdig zu leben.
Dieser Text wurde zum ersten Mal am 26. und 27. Febraur 2008 in Jena beim Treffen von The Voice Refugee Forum zusammen mit Claudia Omoroghomwan in Posseck vorgelegt und diskutiert.